Das Tuch in den Köpfen
oder Gesammelte Merkwürdigkeiten aus dem Leben einer Betuchten
mit Zeichnungen von Corinna Horsch
Es ist ja eigentlich nur ein Stück Stoff. In verschiedenen Größen, mal quadratisch, mal als Schal, bunt gemustert oder
einfarbig. Man findet es vielfach um Hälse gewickelt oder locker um Schultern geworfen. Setzt frau es jedoch auf den Kopf, verändert sich die Welt in ungeahnter Weise. So ging es
zumindest mir, als ich mich einige Wochen nach meiner Konversion entschloß, Nägel mit Köpfen zu machen und der islamischen Kleiderordnung gemäß ein ebensolches (in diesem Fall ein
graues Exemplar mit dezentem Blümchenmuster) um den Kopf zu wickeln. Derart ausgestattet wagte ich den Schritt in die Öffentlichkeit und harrte mehr oder
weniger gelassen der Dinge, die da kommen sollten. Was kam, waren eine Menge Erfahrungen, negative wie positive, belustigende wie traurige und einige
interessante Einsichten in die Macht der Stereotype über die menschliche Vorstellung - wobei ich meine eigene ausdrücklich miteinbeziehe.
Zunächst einmal galt es, sich an bestimmte Standardsituationen zu gewöhnen. Zu den
einfacheren Übungen zählen dabei das Angesprochenwerden auf Türkisch und die Ist-dir-nicht-furchtbar-heiß?-Frage. Schwieriger ist
die Situation in den öffentlichen Verkehrsmitteln, fühlt sich doch immer wieder jemand veranlaßt, mich mehr oder weniger unverhohlen zu beobachten.
Erstaunt war ich über die Erkenntnis, daß aufgrund meines Äußeren einige meiner ZeitgenossInnen bestens über mich und meine Situation
informiert sind, ohne überhaupt mit mir gesprochen haben. Dieses "Wissen" zeigt sich vor allem in Äußerungen, die als Fragen getarnt
sind: Die ArbeitskollegInnen: "Und die Religion hast du wegen der Heirat angenommen (nicht wahr)?" oder "Du darfst doch bestimmt
abends nicht länger wegbleiben?". Die ältere Dame an der Bushaltestelle: "Sie haben so ein hübsches Gesicht. Aber das
Kopftuch müssen Sie wohl tragen?" Als ich entgegne, daß ich es auf eigenen Wunsch trage, nickt sie verständnisvoll: "Ja ja, andere
Länder, andere Sitten." Den Hinweis, daß ich Deutsche und Konvertitin bin, quittiert sie mit einem erschreckten Blick, und nun
fühlt sich ihr Mann berufen einzugreifen: Er habe ja im Fernsehen gesehen, wie zwei deutsche Frauen, die mit ihren Männern in der
Türkei gelebt haben, nach einigen Jahren völlig fertig wieder nach Deutschland zurückgekommen sind. Aha, denke ich, sowas wie die
deutsche Variante von "Nicht ohne meine Tochter". Bevor ich dazu viel sagen kann, kommt ihr Bus, und sie wünschen mir zum Abschied
"Alles Gute" - begleitet von diesem gewissen Blick, der die Überzeugung zum Ausdruck bringt, daß ich es wohl brauchen könne.
Ich war auch überrascht festzustellen, wie schnell es manchen Menschen möglich wird, angesichts eines Kopftuches ihre guten
Manieren zu vergessen. Da war z.B. die Frau in der Schlange vor der Aldi-Kasse: Da ich nur eine Tafel Schokolade gekauft hatte, stand ich ohne Einkaufswagen
direkt hinter ihr. Besagte (ca. 50 Jahre alt, elegante Kleidung, schicke Frisur) dreht sich um und starrt mir ostentativ ins Gesicht.
Ich bin an derlei noch nicht gewöhnt und entschließe mich vorsichtshalber, sie zu ignorieren (was nicht ganz leicht ist, da sie
nur einen halben Meter vor mir steht). Da dies keine Wirkung zeitigt, schaue ich sie dann doch an, wobei ich einen betont enervierten
Gesichtsausdruck aufsetze. Auch dies bringt keine Veränderung, ich wiederhole also den Vorgang nach angemessener Zeit, verbunden mit
einer gewissen Steigerung im Gesichtsausdruck - doch wieder keine Reaktion. Die Frau schaut mich unverwandt an. Schließlich - da mir
die unglaublich schlagfertigen Bemerkungen grundsätzlich erst im Nachhinein einfallen - frage ich sie, warum sie mich denn so
anschaue. Blöde Frage - Gegenfrage: "Finden Sie sich denn nicht ansehenswert?" Da bin ich nun erstmal baff, frage mich, was man
dazu noch sagen soll. Auf meinen Hinweis, daß ich dieses Verhalten nicht besonders höflich finde, beginnt sie schließlich laut zu schimpfen, ich sei ja wohl unverschämt!?
Auf dem Nachhauseweg (während dem ich erstmal zur Beruhigung besagte Tafel Schokolade verzehre) komme ich schließlich zu dem
Ergebnis, daß sie wohl meinte, wenn eine Frau sich so kleide wie ich und damit absichtlich die Aufmerksamkeit auf sich zieht, gebe sie
ihrer Umwelt auch das Recht, sie anzugucken. Nicht sie zeigt das Fehlverhalten, sondern ich, weil ich mir erst ein solches Äußeres gebe
und mich dann beschwere, wenn ich angestarrt werde. Hm. Die Logik der Überlegung ist bestechend. Ich habe daraus folgende Lehre gezogen: Man sollte nie, aber auch
wirklich nie dem Heißhunger auf Schokolade nachgeben! Die Folgen sind nicht abzusehen!
"Hat Allah Ihnen das denn erlaubt?" Erhebliche Verwirrung stiftet der Umstand, daß ich zur Fortbewegung
bisweilen gerne das Fahrrad benutze. Kopftuch und Fahrrad - das sind zwei Dinge, deren Kombination das gemeine menschliche Vorstellungsvermögen offensichtlich überschreitet. So kann es mir
passieren, daß mein Mann mich mit den Worten begrüßt: "Ich habe vom Fenster aus eine Frau gesehen, die hat zu unserem Hauseingang
geschaut, als hätte sie was Komisches gesehen. Da wußte ich, daß du gekommen bist." Entsprechend fühlte sich auch eine Passantin (ca. 50 Jahre alt,
elegante Kleidung, schicke Frisur) gemüßigt, sich von hinten an mich anzuschleichen, als ich gerade arglos mein Fahrrad vor der Post
anschließe, und zu fragen, ob Allah mir das denn erlaubt hätte. Ich gebe nach meiner ersten Überraschung zurück, daß wohl eine
ziemliche Unkenntnis über die Frage verbreitet sei, was Allah Frauen erlaube und was nicht, und daß frau mit der entsprechenden Kleidung
auch im Islam Fahrrad fahren könne. Sie findet mein Fahrradfahren "fortschrittlich", woraufhin ich sie darüber belehre, daß schon der
Prophet mit seiner Frau zusammen joggen war (Fahrräder gab's ja nun damals noch nicht). Wer weiß, vielleicht konnte ich ja wenigstens in diesem Fall am Stereotyp ein bißchen kratzen.
Wenn mich das ständige Beobachtetwerden gerade besonders stört,
ergreift mich bisweilen ein nicht zu unterdrückender Rebellionsgeist, und dann nutze ich das Fahrrad schon mal zu kleinen Attacken auf bestimmte Vorstellungen (muslimische Frauen dürfen nicht Fahrradfahren, muslimische Frauen können
sich ja gar nicht frei bewegen, muslimische Frauen dürfen in der Öffentlichkeit sowieso nicht in Erscheinung treten und überhaupt ...). Sehe ich in solchen Fällen - bevorzugt im
Süden Berlins - eine Gruppe von Menschen an einer Bushaltestelle, nehme ich so richtig Anlauf, flitze mit der mir größtmöglichen Geschwindigkeit und wehendem
Kopftuch an ihnen vorbei und freue mich über die ungläubigen Blicke (die ich natürlich gar nicht mehr sehen kann).
Von Vorstellungsgesprächen und anderen Unannehmlichkeiten
Vieles kann ich mit Humor nehmen, doch manchmal will das nicht recht gelingen. Wie z.B. an dem Tag, als eine Frau, die mit dem
Fahrrad an mir vorbeifuhr, ostentativ ausspuckte. Bevor ich reagieren konnte, war sie schon weitergeradelt. Sie hat nicht getroffen, aber
der psychische Treffer wirkte noch eine Weile nach - aber nur eine kleine, denn solche Leute kann ich dann doch nicht ernst nehmen.
Wenig Lustiges fand ich auch an einem Vorstellungsgespräch, zu dem ich nach einer Bewerbung um eine Stelle als Deutschlehrerin
eingeladen wurde. Zweifel am glücklichen Ausgang des Unternehmens befielen mich schon, als ich das edle Gebäude der Sprachschule betrat und der modernen Kunstwerke an den Wänden gewahr wurde. Als ich dann in das Büro der Schulleiterin trete, wird
mir klar: Das wird nichts. Die Dame (ca. 50 Jahre alt, sehr elegante Kleidung, sehr schicke Frisur) schaut mich an, als hätte sie einen Geist gesehen. Da sie
ob ihrer Fassungslosigkeit nicht in der Lage ist, mich zu begrüßen oder mir einen Stuhl anzubieten, nehme ich die Initiative in die Hand, begrüße sie, setze mich und reiche ihr meine
Bewerbungsmappe. Das folgende Gespräch hat etwas Groteskes, da beide Seiten wissen, daß dieses Arbeitsverhältnis nicht zustande
kommen wird. Schließlich rückt sie mit der Sprache raus: Ich würde ja einen ganz kompetenten Eindruck machen, aber sie denke, ihre
Kunden hätten mit dem Kopftuch Schwierigkeiten, und außerdem - eigentlich hätte ja auch sie persönlich etwas gegen das Kopftuch.
Nun, das ist immerhin besser als das sonst in solchen Fällen übliche "Sie hören dann von uns ..." Später fällt mir ein, daß ich ihr hätte sagen sollen, warum ich mich
gerade bei dieser Schule beworben habe: Eins ihrer Werbeplakate zeigte eine afrikanische Frau mit islamischer Kopfbedeckung und der
Bildunterschrift: „Halima lernt deutsch“. Als KundInnen sind Muslime anscheinend bestens geeignet, anders sieht es als MitarbeiterInnen aus ...
Es geht aber auch anders ... Ich mache jedoch auch Erfahrungen, mit denen ich nicht gerechnet
hatte, und manchmal muß ich meine eigenen Stereotype über "die Deutschen" einer Überprüfung unterziehen. Ich war z.B. der
Überzeugung, daß es für mich in der rheinischen Kleinstadt, in der meine Eltern leben, mit dem Kopftuch problematisch werden würde.
Als ich mich dann durchgerungen hatte, dort hinzufahren, behandelten mich die Menschen so normal, daß ich mir schließlich an
den Kopf griff, um zu prüfen, ob ich vielleicht versehentlich das Tuch zu Hause gelassen hatte. Andererseits hatte ich gedacht, in Berlin dürfe es aufgrund der
Offenheit einer Großstadt keine Schwierigkeiten geben - eine Einschätzung, die sich nicht wirklich bestätigt hat. (Hier zeigen wohl
doch wieder die Stereotype ihre Wirksamkeit: die unfreundlichen Großstädter, speziell die "Berliner Schnauze", und die "fröhlichen Rheinländer".)
Aber auch in Berlin gibt es eine andere Seite: Die Dozentin an der Uni, die mir von sich aus
einen Tutoren-Job (sogar mit Lehraufgaben) anbietet; die ältere Dame im Wedding, die ich nach dem Weg frage und die der Meinung ist, daß Kopftuch stehe mir aber gut; der ältere
Mann, der, als ich auf einem Ostberliner S-Bahnhof nach der Richtung suche, auf mich zukommt, und mir genau erklärt, wo ich hin muß. Oder die KollegInnen und
KommilitonInnen, mit denen man ins Gespräch kommt, und manchmal auch auf ein echtes Interesse stößt, das, was ihnen fremd und
ungewohnt erscheint, besser zu verstehen. Und alle die Menschen, die mich als Mensch betrachten, und nicht als Vertreter einer im
besten Fall fremden, im schlimmsten Fall feindlichen Religion. Es bleibt zu hoffen, daß die Gesellschaft als Ganzes die Offenheit und
Sicherheit gewinnt, mit Kopftuchträgerinnen ganz normal als Kolleginnen, Nachbarinnen, Schülerinnen und Lehrerinnen umzugehen.
Und für die "Betuchten" gilt: Wer in unserer Gesellschaft mit Kopftuch
bestehen will, braucht neben dem Tuch ein dickes Fell und eine gute Portion Humor. Bewerbungen sind zur vorsorglichen Abschreckung
immer ein Paßfoto beizufügen, und ansonsten empfiehlt es sich, einige Umhängeschilder anzufertigen, die man dann situationsgerecht einsetzen kann: Für den türkischen Markt: "Türkçe
konusminyorum" ("Ich spreche kein Türkisch"); für die Sommertage: "Mir ist genauso warm wie Ihnen!" und für die Schaulustigen in Bus und Bahn: "Bitte nicht
füttern!". Vor allem jedoch sollte man nicht anfangen, alle negativen Erfahrungen immer auf das Kopftuch zurückzuführen - damit nicht das Tuch auf dem Kopf zum Tuch im Kopf wird.
Was mich betrifft, merke ich gerade, daß ich aufpassen muß, keine Vorurteile gegenüber 50-jährigen Frauen mit eleganter Kleidung und schicker Frisur zu entwickeln ...
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