“Comeback zu meinen eigenen Wurzeln“
Islamische Zeitung 19. Januar 2005
IZ-Gespräch über die
Entscheidung einer Muslimin, eine aussichtsreiche Karriere im Musikgeschäft zu beenden
In unseren Landen sind muslimische Identifikationsfiguren - gerade für junge Muslime - rar
gesät. Umso interessanter sind dann jene, die es über lokale Grenzen hinaus bei Muslimen wie Nichtmuslimen zu Bekanntheit und Respekt gebracht haben. Eine dieser Muslime ist die 1975 im
oberpfälzischen Erbendorf geborene ehemalige Sängerin und Songschreiberin Hülya Kandemir, die von Fachleuten vielfach für ihre Musik gelobt wurde. In der IZ spricht sie über ihre Beziehung
zum Islam, und warum sie sich aus dem Musikgeschäft zurückgezogen hat.
Islamische Zeitung: Frau Kandemir, Sie sind in Deutschland aufgewachsen. Welche Rolle spielte dabei der Islam?
Hülya Kandemir: In meiner Familie war zwar immer vom Islam die Rede, aber niemals davon, dass man den Islam auch praktizieren müsse. Weder haben meine Eltern mir die Bedeutungen der
islamischen Regeln erklärt, noch diese selber praktiziert. Von daher bin ich sehr westlich, unter deutschen Freunden, aufgewachsen. Der Kontakt, den ich zu Muslimen hatte, war eher immer sehr
unbewusst.
Islamische Zeitung: Das heißt, nur zu den Feiertagen wurde Ihnen der eigene Islam bewusst?

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Soeben erschienen:
Himmelstochter. Mein Weg vom Popstar zu Allah von Hülya Kandemir
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Hülya Kandemir: Innerhalb meiner Familie war das sehr unterschiedlich. Leute wie mein älterer Bruder haben den Islam für
sich sehr ernst genommen. Auch bei meinen Eltern waren natürlich die Feiertage schon sehr wichtig, allerdings hat das nie sehr bewusst stattgefunden.
Islamische Zeitung: Eine Frage, die vielleicht auch das Lebensgefühl junger Muslime wiederspiegelt; wie haben Sie den Islam außerhalb Ihrer Familie wahrgenommen?
Hülya Kandemir: Für mich selber war es auf jeden Fall wichtig, an einen Gott zu glauben, was sich auch in den Inhalten meiner Lieder wiedergespiegelt hat. Die
Muslime habe ich damals immer als nicht sehr weit entwickelt gesehen. Ich hatte meine eigenen Philosophien vom Leben aufgestellt und sie als Wahrheit angesehen. In meiner
Umgebung bin ich zwischen Deutschen groß geworden und war die einzige Türkin auf meinem Gymnasium. Alles war sehr deutsch um mich herum, und ich habe beispielsweise als Jugendliche in der
örtlichen Kirchenband gespielt, was zu dieser Zeit für mich normal war.
Islamische Zeitung: Glauben Sie, dass Ihre Umwelt Sie zum
damaligen Zeitpunkt als Muslima wahrgenommen hat? Hülya Kandemir: Ich glaube schon, dass die Leute das getan haben, weil ich den Islam immer unbewusst verteidigt habe, obwohl ich selber
zu diesem Zeitpunkt nicht praktizierte. Meine Umgebung hat mich allerdings trotzdem als eine Deutsche angesehen, da ich mich schon sehr stark auch an sie angepasst hatte.
Islamische Zeitung: Frau Kandemir, Sie haben sich bei Kennern und auch bei Liebhabern Ihrer Musik einen Namen gemacht. Was war Ihr Einstieg in diesen Bereich?
Hülya Kandemir: Meine Familie ist sehr musikalisch und zu Hause wurde auch immer Musik gemacht. Bei uns spielte vor allem die
volkstümliche türkische Musik eine Rolle. Allerdings habe ich meinen Entschluss, auf die Bühne zu gehen und in der Musik Karierre zu
machen, selbstständig gefasst. Ich konnte mit zwei Jahren schon richtig gut singen, und mit elf Jahren habe ich mir das Gitarrespielen
selber beigebracht. Zwischen 15 und 16 hatte ich meinen ersten Auftritt, meinen ersten eigenen Produzenten und die ersten Kassetten aufgenommen.
Islamische Zeitung: Gab es ein Schlüsselerlebnis bei Ihrer Entscheidung, im Musikgeschäft arbeiten zu wollen?
Hülya Kandemir: Ich habe mit 15 bei einer Demonstration gegen
Rechtsradikalismus gespielt. Über meinen Auftritt gab es einen Zeitungsartikel, der meinen ersten Produzenten auf mich aufmerksam gemacht hat. Ich bin dann gleich ins Studio gekommen
und habe mit meinen ersten Aufnahmen angefangen. Das war damals die Sache, die ich in meinem Innersten als am wichtigsten für mich empfunden habe.
Islamische Zeitung: Wie haben Sie von diesen Anfängen bis heute das Musikgeschäft erlebt?
Hülya Kandemir: Mit 19 hatte ich dann schon meinen ersten großen Auftritt im Vorprogramm von Joan
Baez in Regensburg und habe dort meinen Münchener Produzenten kennen gelernt, der mich auch gleich angesprochen hat; nur hatte ich zu diesem Zeitpunkt meiner Ansicht nach
nicht die richtigen Lieder, um nach München zu gehen. Zwei Jahre später bin ich dann nach München gegangen, habe mich mit dem Produzenten zusammen getan und
habe meine erste CD veröffentlicht. Vorher habe ich zwar auch eine MC produziert, die aber im Rückblick eher unprofessionell war. Mit dieser ersten CD habe ich meine erste
Deutschland-Tournee im Vorprogramm von Franz Benton gemacht. In Folge dessen hatte ich viele Auftritte in Deutschland, mit Natalie
Cole, Bonnie Tyler und Angelo Branduardi, sowie Fernsehauftritte in der Türkei und eine Teilnahme an einem Festival der bekannten
türkischen Sängerin Ebru Gündüz. Danach habe ich jedes Jahr eine Frühjahrs- und eine Herbsttour gemacht und auch vor drei Jahren meine Live-Platte aufgenommen. Bis zu diesem Zeitpunkt war es
so, dass ich die Plattenangebote abgelehnt hatte, da ich mit meiner eigenen Musik und meinen eigenen Inhalten bekannt werden wollte und mich nicht zu einem Popstar machen lassen wollte. Ich
habe immer schon ernsthafte Musik gemacht; Lieder, bei denen Menschen zum Zuhören gekommen sind und nicht zum Partymachen. Es ging mir um sozialkritische Inhalte und um mein
Bewusstsein von Gott. Mit 22 und 23 habe ich angefangen, immer mehr türkische Lieder zu schreiben. Damit habe ich zu meinen eigenen Wurzeln als Türkin zurück gefunden, da ich vorher immer
hin und her gerissen war, ob ich Deutsche oder Türkin sein sollte. Dieses Comeback zu meinen eigenen Wurzeln war für mich sehr wichtig. Mein Wiederhineinfinden in die türkische Welt hat mich
auch zurück zu meinen islamischen Wurzeln gebracht. Im Zuge meiner Arbeit an türkischen Texten habe ich mich auch immer mehr mit türkischen Liedermachern beschäftigt, die die Tradition der
Derwische - Yunus Emre und Mevlana - in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt haben. Ich habe auf einer Preisverleihung in der
Türkei gespielt und dort meinen türkischen Manager kennen gelernt, der mir gesagt hat, ich solle eine Single in Deutschland produzieren.
In letztem Sommer sollte ich in der Türkei einen Videoclip dazu drehen und wäre dann auf allen türkischen Fernsehsendern promotet worden.
Islamische Zeitung: Sie sagten gerade, wäre ...?
Hülya Kandemir: Ich habe mich im letzten Sommer zum Islam bekannt. Es war schon so, dass ich zwei Jahre zuvor mit dem
Gebet angefangen habe und dieses Gebet hat mich immer tiefer in den Islam gebracht. Ich habe dann begriffen, wie wichtig es ist, das Ganze zu praktizieren. Ich war vorher immer auf der Suche,
war immer sehr unzufrieden und hatte Depressionen durch die vielen Auftritte. Dieses Musikbusiness mit Menschen, die ganz viele Masken getragen hatten. Der Rummel um einen, wenn man auf der
Bühne gestanden hat.
Islamische Zeitung: Waren Sie an einem Punkt, an dem Sie nicht mehr weitermachen konnten oder wollten?
Hülya Kandemir: Ich hatte die Möglichkeit, in die Türkei zu gehen und das zu machen, was ich schon seit Jahren wollte: Karriere mit
meiner eigenen Musik zu machen. Zu diesem Zeitpunkt sind sehr viele Angebote auf mich hereingebrochen und viele Produzenten wollten Aufnahmen mit mir produzieren. Ich hatte ein Angebot,
etwas mit dem Produzenten Xavier Naidoo und auch mit Konstantin Wecker aufzunehmen, und genau in der Zeit hatte ich plötzlich gespürt, dass ich ein Kopftuch tragen will und mich ganz Allah
widmen wollte. Es war eine Sekundenentscheidung, in der beide Möglichkeiten offen standen und ich mich für die eine der beiden entschieden habe. Diese Entscheidung hat dann zu allem Weiteren
geführt. Ich habe danach alles abgesagt und nur noch ein Konzert für Frauen gegeben.
Islamische Zeitung: Hätte es für Sie keine Option gegeben, Musik
unter anderen, neuen Vorzeichen zu machen?
Hülya Kandemir: Da ich eine Frau bin, gibt es für mich andere Gegebenheiten als beispielsweise für jene Männer in der
Musikbranche, die zum Islam kommen. Wenn ich mit dem Kopftuch auf die Bühne ginge, würde ich mir auch unter den Muslimen Feinde machen. Beispielsweise könnte dies als negatives Beispiel
missverstanden werden. Ich bin hundert Prozent sicher, dass die meisten Muslime dies nicht verstehen würden. Das, wonach ich immer auf der Suche war, auch in meiner Musik, habe ich bei Allah
im Praktizieren des Islam gefunden: Den inneren Frieden! Damit ist die Musik einfach nicht mehr mein Mittelpunkt, sondern Allah, denn
mir wurde bewusst, dass der Tod näher ist, als man denkt, und dieses Leben nur eine Schule ist auf dem Weg zu Allah. Und dass die Liebe zu Allah und die Liebe, die man von ihm bekommt, mit
nichts zu begleichen ist. Ein Buchtitel beschreibt das sehr gut, “Das Elixier der Glückseligkeit“. Aus dem Grund ist es mir nicht mehr so
wichtig, ob ich überhaupt noch Musik mache; vielleicht in Form von islamischer Kindermusik oder von Konzerten für Frauen. Ich mache
inscha’Allah das, was Allah von mir will, und was das beste für meine Seele ist. Vielleicht kann ich das Talent meiner Stimme zum Rezitieren des Qur’an nutzen?
Islamische Zeitung: Was bleibt für Sie für die Zukunft?

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Hülya Kandemir bei
einer Podiumsdiskussion
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Hülya Kandemir: Die Kraft und die Energie, die ich vorher nur in die Musik gesteckt habe, die stecke ich
jetzt in den Islam. Für die Friedenskundgebung in München habe ich gemeinsam mit den Jugendlichen, mit denen ich diese organisiert habe, einen Preis vom Oberbürgermeister der Stadt
München erhalten, was schon eine tolle Auszeichnung ist. In der Bundesgartenschau in München soll der Islam vorgestellt worden, woran ich beteiligt bin. Ich versuche,
meine Energie hunderprozentig für den Islam einzusetzen.
Islamische Zeitung: Sehr geehrte Frau Kandemir, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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