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Eheverträge im Islam
von Halima Krausen
Quelle: Dunia. Die Islamische Hochschulzeitschrift, Ausgabe 3 (Hamburg)
Muslime in Deutschland sind auf
verschiedenen Ebenen dabei, einen Islam deutscher Prägung zu entwickeln. Dabei spielen die kulturellen und rechtlichen Vorstellungen aus ihren vormaligen Heimatländern nach wie vor eine große
Rolle und tragen zur Dynamik und Bereicherung im innerislamischen Dialog bei. Unterschiedliche Rechtsvorstellungen überschreiten dann die
Faszination wissenschaftlich-theoretischer Dispute, wo persönliche Betroffenheit vorhanden ist, was unter anderem dann der Fall ist, wenn
zwei Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung sich in einer Ehe zusammentun. In diesem Artikel werden Grundprinzipien des islamischen Rechts in Bezug auf Eheverträge vorgestellt.
Eine Ehe ist im Islam prinzipiell ein Vertrag zwischen einem Mann und einer Frau, ihr Leben miteinander zu teilen und ggf. gemeinsam die
Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen. Während die Ehe weder als unauflöslich noch als Sakrament gilt, gehört sie doch zu den "Zeichen Gottes", die wir in dieser Welt erfahren:
"Und zu Seinen Zeichen gehört dies, daß Er Ehepartner für euch
erschuf von euch selber, damit ihr Frieden bei ihnen findet, und Er hat Liebe und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt. Hierin sind doch Zeichen für Leute, die nachdenken." (Sura 30:21)
Wie bei jedem anderen Vertrag, so ist auch hier selbstverständlich die freiwillige Zustimmung der beiden Partner erforderlich.
In einer Zeit des schnellen gesellschaftlichen Wandels und unterschiedlicher kultureller Einflüsse und Herausforderungen bei der
Begegnung von Muslimen aus verschiedenen Ländern und Rechtsschulen ist es darüber hinaus unerläßlich, über die Zukunftserwartungen nachzudenken, vor allem dann, wenn es
unterschiedliche Vorstellungen von der Rollenverteilung von Mann und Frau in Familie und Gesellschaft gibt. Zumindest dann, wenn die Ehepartner verschiedene Staatsangehörigkeiten haben oder eine
Auswanderung oder ein längerer Aufenthalt in einem anderen Land geplant ist, es also nicht einfach um deutsche Rechtsprechung und islamische Ideale geht, die relativ leicht miteinander in Einklang zu
bringen sind, sondern um die Rechtsordnung eines anderen Landes, die ganz anders sein kann, sollte man tatsächlich einen schriftlichen notariellen Vertrag abfassen.
Das ist kein Mißtrauensausdruck dem Partner gegenüber, sondern, abgesehen von einer Gelegenheit, gründlich über die gemeinsame Zukunft nachzudenken, eine Auseinandersetzung mit den
Rechtsvorstellungen der Umgebung und oftmals eine Absicherung gegen Willkür und Ungerechtigkeit von Behörden. Ein unerläßlicher Bestandteil eines Ehevertrags ist die Angabe der
Brautgabe (mahr). Sie ist als eine Art finanzielle Absicherung für die Frau und als Anerkennung für die Belastung gedacht, die sie in der Familie auf sich nimmt.
Ein bestimmter Betrag ist nicht festgelegt, sondern die Höhe der Brautgabe ist im gegenseitigen Einverständnis und den kulturellen Gegebenheiten entsprechend zu ermitteln. Manchmal begnügt man sich
mit einem symbolischen Betrag, aber oft versucht man auch, durch absichtlich hoch angesetzte Summen die Frau gegen ein einseitiges Scheidungsverlangen seitens des Mannes oder gegen Polygamie abzusichern.
Es ist auch durchaus üblich, die Brautgabe in einen bei der Eheschließung zahlbaren (mu'ajjal) und einen später fälligen (muwajjal)
Teil zu unterteilen, bei dem letzterer entweder auf Verlangen oder bei einem Anlaß wie z.B. bei einer Scheidung seitens des Mannes auszuhändigen ist. Gerade im Hinblick auf die Absicherung der Frau ist
sorgfältig und realistisch zu überlegen. Eine Frau, die sich durch ihre beruflichen Möglichkeiten genügend abgesichert sieht, mag vielleicht
eher an eine symbolische Brautgabe denken, aber in einer Gesellschaft, in der die Höhe der Summe traditionell eine Wertschätzung der Frau ausdrückt, würde dies als eine Selbstherabsetzung mißverstanden.
Ein sehr hoch angesetzter Betrag mag einen Mann daran hindern, einseitig die Scheidung zu verlangen, kann aber andererseits auch ein
Hindernis dafür sein, eine unerträglich gewordene Ehe aufzulösen. Ein in einer bestimmten Währung festgesetzter Betrag kann im Laufe der
Jahre durch Inflation seinen Wert verlieren. Verbreitet ist daher der Gedanke, Goldmünzen als Maßstab zu nehmen. Eine Alternative ist vor allem in der heutigen Zeit, das tatsächliche Monatseinkommen des
Mannes zum Ausgangspunkt zu nehmen und z.B. eine Anzahl von Monatsgehältern als Abfindung bei einer Scheidung festzulegen, so daß ein Mann mit einem hohen Einkommen mehr zu zahlen hat, eine
Scheidung aber auch bei einem niedrigen Gehalt nicht unerschwinglich ist. Wenn keine Brautgabe festgelegt wurde, müßte ggf. ein islamisches Gericht über die Höhe entscheiden.
Tatsächlich wird aber ein solcher Anspruch der Frau in den westlichen und einer Reihe von islamischen Ländern gar nicht oder nur eingeschränkt anerkannt.
Während die Brautgabe selbstverständlich zu einem Ehevertrag gehört, sollte das junge Paar aber auch folgende Punkte bedenken:
1. Ausbildung und Weiterbildung, vor allem dann, wenn die Partner jung heiraten. Das Streben nach Wissen ist eine religiöse Pflicht für jeden Muslim, Mann und Frau. Allerdings herrscht vielfach noch die
Vorstellung, mit einer gewissen Allgemeinbildung sei diese Pflicht erfüllt, und vor allem in bezug auf Frauen hört man bis heute Sätze wie: "Die
heiratet ja doch," oder, "Dann regelt der Mann die komplizierteren Angelegenheiten."
Tatsächlich ist eine gute Bildung der Frau auch in Familien mit einer
eher traditionellen Rollenverteilung schon allein um der Erziehung der Kinder willen wichtig; außerdem ist in jedem Fall eine berufliche
Ausbildung zu empfehlen, so daß die Frau notfalls in der Lage ist, die Familie selbst zu versorgen, wenn der Mann dies nicht kann. Aber auch
bei den jungen Leuten selbst gibt es manchmal unklare Vorstellungen darüber, wie Erwerbstätigkeit, Weiterbildung und Familienleben miteinander kombiniert werden können und welchen Stellenwert sie
zueinander haben.
2. Berufstätigkeit der Frau. Hierbei spielen zwei Faktoren eine Rolle,
a) die wirtschaftliche und intellektuelle Entfaltung der Frau, und
b) die Notwendigkeit, daß es Lehrerinnen, Krankenschwestern, Ärztinnen usw. gibt, auch und gerade dann, wenn ansonsten eine strenge Geschlechtertrennung und Rollenverteilung üblich ist.
Im Grunde könnte sich keine Gesellschaft leisten, die Hälfte ihrer Mitglieder auf eine ausschließlich häusliche Funktion festzulegen. Wo es jedoch solche Vorstellungen gibt, empfiehlt es sich, die
Möglichkeiten der Frau zu einer für sie erfüllenden und nützlichen Berufstätigkeit im Ehevertrag zu regeln und dabei ggf. auch zu überlegen, wie Hausarbeit und Kindererziehung durchgeführt bzw.
finanziert werden sollen (Teilung der Arbeit zwischen Mann und Frau, Beschäftigung von Hauspersonal etc.).
3. Nach islamischer Vorstellung ist der Güterstand in der Ehe normalerweise die Gütertrennung, d.h. jeder Ehepartner verfügt über
sein eigenes Vermögen und Einkommen, wobei traditionell der Mann verpflichtet ist, die Familie zu versorgen, und die Frau auf freiwilliger Basis dazu beitragen kann.
In vielen westlichen Ländern gibt es andere Vorstellungen hinsichtlich des Güterstandes. In Deutschland ist der gesetzliche Güterstand der
einer "Zugewinngemeinschaft", d.h. "das Vermögen des Mannes und das Vermögen der Frau werden nicht gemeinschaftliches Vermögen der
Ehegatten" (wie bei der früher üblichen "Gütergemeinschaft"); ... "der Zugewinn, den die Ehegatten in der Ehe erzielen, wird jedoch
ausgeglichen, wenn die Zugewinngemeinschaft endet" (BGB § 1363 Abs. 2) - es sei denn, im Ehevertrag würde etwas anderes vereinbart.
Andererseits gibt es in einigen (auch islamischen) Ländern
Einschränkungen hinsichtlich des Verfügungsrechts der Frau über ihr Vermögen oder Einkommen. Es ist sinnvoll, sich rechtzeitig darüber zu informieren und ggf. im Ehevertrag entsprechende Vorkehrungen zu
treffen. Letzteres ist unerläßlich, wenn ein oder beide Ehepartner selbständig sind.
4. In der heutigen Zeit, wo es immer seltener rein patrilokale oder matrilokale Tendenzen gibt und der Wohnort oft von wirtschaftlichen
Möglichkeiten abhängig ist, ist ein wichtiger Punkt die Regelung des gemeinsamen Wohnsitzes, vor allem da, wo noch die Vorstellung verbreitet ist, der Mann habe das ausschließliche
Aufenthaltsbestimmungsrecht für die ganze Familie. Um unzumutbare Härten auszuschließen, muß für den Partner, der dem anderen in ein fremdes Land folgt, im Ehevertrag zumindest die Möglichkeit
berücksichtigt werden, seine alte Heimat und seine Angehörigen regelmäßig zu besuchen, ggf. mit den Kindern, denen man Großeltern und andere Verwandte nicht vorenthalten sollte. Man sollte auch über
eine Regelung für den Fall nachdenken, in dem ein Ehepartner das Leben im "Schwiegervaterland" auf Dauer unerträglich findet.
5. Manchmal ist es üblich, im Ehevertrag ein Taschengeld für die nichtberufstätige Frau festzulegen. Es kommt auch vor, daß die Frau
sich für ihre häuslichen Tätigkeiten ein "Hausfrauengehalt" aushändigt. Beides ist aus islamischer Sicht durchaus legitim.
6. An sich sollten Reisen und Zeiten der Abwesenheit von zu Hause im gegenseitigen Einvernehmen geklärt werden. Einschränkungen und
Auflagen gibt es in vielen Ländern einseitig für die Frauen in Form der gesetzlichen Bestimmung, daß eine Ehefrau zur Ausreise die schriftliche
Zustimmung des Ehemannes braucht, vor allem, wenn die Kinder mitreisen. In solchen Fällen sollte eine grundsätzliche Ausreiseerlaubnis schon im Ehevertrag verankert werden.
Für Männer ist meist eine größere Freizügigkeit vorgesehen, die ihnen ursprünglich einen größeren Spielraum zur wirtschaftlichen Versorgung
der Familie (als Kaufmann u.drgl.) geben sollte. Allerdings könnte nach islamischem Recht ein Mann, der länger als vier Monate seiner Frau fernbleibt, gerichtlich veranlaßt werden, entweder
die Familienbeziehungen unverzüglich wieder aufzunehmen oder sich von seiner Frau zu trennen, um ihr die Möglichkeit zu einer neuen befriedigerenden Ehe zu geben. Vor allem im Hinblick auf eine
Auslandstätigkeit des Mannes sollten im Ehevertrag die entsprechenden Abmachungen erwähnt werden.
7. In einigen islamischen Ländern gibt es wie in fast allen westlichen Ländern offiziell keine Möglichkeit mehr für Männer, eine Mehrehe
einzugehen, oder nur mit einer gerichtlichen Ausnahmegenehmigung. Wo die Mehrehe noch uneingeschränkt möglich ist, müßte die Frau überlegen, ob sie damit einverstanden sein kann, und sich womöglich
dagegen absichern, indem sie sich für den Fall, daß ihr Mann darauf besteht, eine zweite Frau zu heiraten, im Ehevertrag das Scheidungsrecht vorbehält.
8. Die Möglichkeiten, eine Scheidung zu erwirken, sind in vielen Ländern sehr einseitig zugunsten der Männer geregelt. Für den Fall der
Scheidung auf Initiative des Mannes (talâq) ohne Verschulden der Frau ist es ratsam, im Ehevertrag eine Abfindungs- oder Unterhaltssumme festzulegen, ggf. in Verbindung mit der Festlegung der Brautgabe
(s.o.). Das Scheidungsrecht für Frauen (khul', wobei die Frau die Brautgabe oder einen Teil davon zurückgibt; der Mann kann allerdings
auch das Recht zu talâq auf die Frau übertragen) unterliegt oft starken Einschränkungen, obwohl es nach Qur'an und Sunna vorgesehen ist.
Obwohl man bei einer Heirat nicht gern an die Möglichkeit einer Scheidung denkt, und auch wenn das Paar zunächst die Absicht hat, nicht in der Heimat des nichtdeutschen Ehepartners zu leben, ist es
angeraten, sich rechtzeitig über die dortige Rechtslage zu informieren und entsprechende Vereinbarungen in den Ehevertrag aufzunehmen.
9. Für den Fall einer Scheidung ist es auch notwendig, das Sorgerecht für die Kinder zu regeln. In vielen Ländern gibt es gesetzliche
Bestimmungen, nach denen die Kinder bis zu einem bestimmten Alter bei der Mutter und danach beim Vater leben, ggf. mit einem Besuchsrecht des jeweils anderen Elternteils.
Vom Propheten (s) wird berichtet, daß er älteren Kindern selbst die Wahl ließ, aber das hat in der späteren Gesetzgebung fast nirgends Niederschlag gefunden. Tatsächlich ist das Kind beiden Eltern
verbunden und leidet unter deren Trennung schon zu sehr, als daß es noch endgültig von einem Elternteil getrennt werden sollte.
Man sollte rechtzeitig Vereinbarungen treffen, die in einem solchen Fall die bestmögliche Lösung für das Kind bieten. Dabei kann man durchaus
auch die Möglichkeit des gemeinsamen Sorgerechts im Auge behalten, so daß keiner der Eltern befürchten muß, der andere könnte ihm das Kind streitig machen.
Bei Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit Ehe und Scheidung kommt es vor, daß der Mann benachteiligt ist, aber meist ist es nach wie vor die Frau.
Die Gelehrten aller Schulen haben sich schon sehr früh darüber Gedanken gemacht und versucht, vor allem sehr junge Frauen, die zum erstenmal heiraten, vor Nachteilen zu schützen, indem sie ihnen
nahelegten, die Zustimmung eines Interessenvertreters wie z.B. des Vaters einzuholen, von dem man erwarten konnte, daß er auf günstige Bedingungen in ihrem Ehevertrag achtete.
Heute ist der Zugang zu Bildung und Information vielleicht besser als in früheren Zeiten, aber dennoch ist es empfehlenswert, von den
Erfahrungen anderer zu profitieren und gut zu überlegen. Detaillierte Informationen zu familienrechtlichen Fragen einzelner Länder sowie darüber, welche Bedingungen eines islamischen
Ehevertrages dort anerkannt werden, sind beim Bundesverwaltungsamt, Amt für Auswanderung, in Köln erhältlich sowie bei Beratungsstellen für Auslandstätige und Auswanderer, die es in den
meisten Großstädten gibt. Alle diese Vorkehrungen allein sind allerdings noch keine Garantie für das Gelingen einer Ehe. Guter Wille der beiden Partner, in guten und schlechten Zeiten
zusammenzuhalten, mit Meinungsverschiedenheiten auf vernünftige und gerechte Weise umzugehen und ihre gegenseitige Verantwortung sind letztendlich die Grundlage für den Segen, den ihre Partnerschaft
mit sich bringt.
Halima Krausen, Muslimische Theologin, Hamburg
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