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al-sakina
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Respekt als Exportartikel
Bericht zur Wiener Konferenz Europäischer Imame und SeelsorgerInnen 2006
von Silvia Horsch
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Vom 7.-8. April fand in Berlin die Konferenz Europäischer Muslime statt, die von der Islamischen Religionsgemeinschaft
Deutschland
(IRGD) veranstaltet und der Stadt Berlin sowie dem Außenministerium gefördert wurde. 120 TeilnehmerInnen aus 40 Ländern
kamen für zwei Tage zusammen, um den muslimischen Gedankenaustausch zu fördern, sich zu vernetzen und zu aktuellen europäischen Fragen aus islamischer Sicht
Stellung zu nehmen. Bei der feierlichen Eröffnungsveranstaltung im Roten Rathaus sprachen neben Kanzlerin Merkel auch Außenminister Steinmeier und der Berliner Bürgermeister
Wowereit. Einhellig lobten sie die gute Zusammenarbeit mit der IRGD und sprachen vom Vorbildcharakter Berlins für das friedliche Zusammenleben der Kulturen und Religionen.
Diese Meldung stimmt natürlich
nicht ganz: Berlin ist durch Wien zu ersetzen, die fiktive IRGD durch die IGGiÖ (Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich) und die deutschen Politiker durch ihre österreichischen
AmtskollegInnen. Was man als Muslim in Deutschland abhängig vom persönlichem Grad der Zuversicht als Zukunftsmusik oder Science Fiction bezeichnet, ist in Österreich Realität.
„Zusammenleben und Dialog funktionieren hier wirklich“
Wien, so der Bürgermeister und Landeshauptman Michael Häupl, „ist ein internationales Vorbild für das friedliche Zusammenleben der
Religionen“. Beste Voraussetzungen also für die Konferenz Europäischer Imame und Seelsorgerinnen, die von der IGGiÖ, der European Islamic Conference, der Stadt Wien und dem
österreichischen Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten veranstaltet wurde. Allein die Eröffnungsveranstaltung im Festsaal
des Wiener Rathauses machte deutlich, dass in Österreich etwas vorhanden ist, wofür Muslime in Deutschland noch kämpfen: ein Klima
des gegenseitigen Respekts und der Achtung – auch und besonders gegenüber der muslimischen Minderheit. Dieses Klima wird institutionell von der Anerkennung der Muslime als
Religionsgemeinschaft getragen, die den christlichen Kirchen gleich gestellt ist. Es äußert sich in guten und engen Beziehungen der
IGGiÖ zu staatlichen und gesellschaftlichen Stellen, wie die RednerInnen der Feier mehrfach unterstrichen. Bundeskanzler Schüssel, Außenministerin Plassnik und der Präsident des
Nationalrates Khol waren sich darin einig, dass Österreich als Erfolgsmodell für das Zusammenleben verschiedener Religionen in Europa gelten kann. Gemeinsam betonten sie die wichtige und
fruchtbare Rolle des Islams und der Muslime für die europäische Geschichte und Gegenwart. Der Präsident der Europäischen Kommission Barroso, der absagen musste, ließ seine Rede von der
EU-Kommissarin für Außenbeziehungen Ferrero Waldner verlesen. Den „clash of civilizations“ bezeichnete er darin als falschen Begriff,
stattdessen müsse man von einem „clash of ignorance“ sprechen. Dass es bei der Veranstaltung aber nicht um eine „Schmusestunde“ ging, machte Dr. Andreas Khol deutlich, der auf einige noch
ungelöste Probleme hinwies, wie die teilweise mangelnden Deutschkenntnisse der Religionslehrer und islamistische Inhalte in Lehrbüchern. Jedoch – und das ist der Unterschied zu Deutschland –
wurde diese Kritik in einer Art und Weise vorgetragen, welche die Muslime nicht in eine Verteidigungshaltung drängt und keinen Zweifel
daran lässt, dass die Beziehungen zwischen dem Staat und der muslimischen Religionsgemeinschaft auf einem grundsätzlichen Vertrauensverhältnis basieren. Auf dieser Grundlage können Probleme
gemeinsam und im kontinuierlichen Austausch angegangen und gelöst werden. „Zusammenleben und Dialog funktionieren hier wirklich“, sagte Kanzler Schüssel, und das sei ein „österreichischer
Exportartikel“. Solche Sätze machen angesichts der derzeitigen EU-Präsidentschaft Österreichs Hoffnung auf praktische Umsetzung.
Wenig Zeit für große Herausforderungen Die diesjährige Konferenz war die zweite dieser Art, nach der
Konferenz "Leiter islamischer Zentren und Imame in Europa" im Jahr 2003 in Graz. Diese hatte grundlegende Positionsbestimmungen
getroffen, den Islam theologisch als kompatibel mit den Prinzipien der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, des
Pluralismus und der Menschenrechte verortet und jegliche Form von Fanatismus und Extremismus verurteilt. Etwas zu leisten, was darüber hinausgeht, war die Herausforderung der Wiener
Konferenz. Die eigentliche Arbeit fand am zweiten Tag statt. Nach einer Reihe von Impulsreferaten (u.a. von Beate Winkler, Direktorin des European
Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC); Murad Hofmann, Ayatolla Asayed Abbas Ghaemmagami vom Islamischen Zentrum Hamburg und Amir Zaidan, Direktor des Islamischen
Religionspädagogischen Instituts in Wien) wurden am Nachmittag sechs Workshops durchgeführt. Themen waren Migrationssoziologie
und Bildung, Integration und Partizipation, Jugend, Frauen, Ökologie sowie Wirtschaft und Politik. Die Ergebnisse der Workshops fanden Eingang in die Abschlusserklärung (hier nachzulesen >>
). Insgesamt erwies sich die Themenfülle und die mit jedem einzelnen
Thema verbundene Vielzahl von Fragen als zu umfassend, um an einem Tag befriedigend behandelt werden zu können, so dass noch viel Arbeit für zukünftige Konferenzen bleibt.
Diskussions- und Handlungsbedarf bei der „Frauenfrage“
Deutlich wurde dies z.B. in dem Workshop, der sich mit der Rolle und Situation muslimischer Frauen beschäftigte: Die Frauenbeauftragte
der IGGiÖ und Berichterstatterin dieser Gruppe, Andrea Saleh, berichtete, dass jede Einzelfrage, wie etwa Gewalt gegen Frauen
oder die Interpretationen von Koranversen, die für die Beziehung der Geschlechter relevant sind, eines eigenen Workshops bedurft hätten.
Die Arbeitsgruppe schlug deshalb vor, eine Konferenz ausschließlich zu diesem Themenkomplex durchzuführen. Dass die Förderung von
muslimischen Frauen und die innermuslimische Debatte in der Frage der Gleichberechtigung noch erheblich verstärkt werden muss, zeigte
auch die Konferenz selbst: Frauen waren in diesem Jahr zum erstenmal auch als Teilnehmerinnen angesprochen, der Frauenanteil war jedoch noch ausgesprochen gering. Es ist daher sehr zu hoffen,
dass die Veranstalter diese Anregung aufgreifen und die „Frauenfrage“ zum Gegenstand einer eigenständigen Konferenz machen, die Gelegenheit gibt, in den angesprochenen Fragen wirklich
in die erforderliche Tiefe zu gehen. Die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens geht auch aus der Schlusserklärung hervor, die einen „vermehrten Handlungsbedarf innerhalb der muslimischen
Gemeinschaft“ konstatiert: Bewusstseinsbildung gegen jeden Missbrauch von Religion müsse gefördert werden, gleichzeitig müssten im Bereich Ehe und Familie auf Herausforderungen der
Moderne auf dem Boden der Theologie neue islamische Antworten gefunden werden.
Damit zukünftige Konferenzen Europäischer Imame und SeelsorgerInnen einen nachhaltigen Effekt auf die europäischen
muslimischen Gemeinden haben können, ist es notwendig, gezielt und konzentriert zu zentralen Themen zu arbeiten und zugleich Aktionspläne zur Umsetzung der
Forderungen zu entwickeln. Sonst besteht die Gefahr, dass Schlusserklärungen, die sich in allgemeinen Forderungen und Absichtserklärungen erschöpfen, auch das Ende der Arbeit sind.
Nachhilfe für Deutschland
Dass es maßgeblich vom politischen Willen abhängt, welche Rolle die Muslime in den europäischen Gesellschaften spielen, ist eine der
wichtigsten Erkenntnisse dieser Konferenz – insbesondere für deutsche TeilnehmerInnen. Das österreichische Beispiel zeige, so Axel Ayyub Köhler, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in
Deutschland, was die Muslime erreichen können, wenn man sie nur lässt. Wer nach europäischen Erfolgsmodellen für die aktive
gesellschaftliche Partizipation der Muslime sucht, kann fündig werden – nicht nur in Österreich, sondern auch in Großbritannien: In einem
der interessantesten Referate der Konferenz berichtete Qudrat Shah, Dienstellenleiter im Referat für Gleichstellung in Bradford, wie mit
einem Aktionsplan die örtlichen Koranschulen evaluiert und ihre Zusammenarbeit mit den lokalen staatlichen Schulen und Erziehungsbehörden gefördert wurde. Durch Identifizierung von „best
practice“, Vernetzung und Ausbildung der Imame konnte die Qualität des Unterrichts und der pädagogischen Methoden deutlich verbessert werden. Auch dies ist das Ergebnis einer vertrauensvollen
Zusammenarbeit zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Stellen und muslimischen Einrichtungen. Es geht also auch anders – wenn man will.
Ein Teilnehmer der Konferenz war der deutsche Botschafter in Österreich Hans-Henning Horstmann. Vielleicht nimmt er den Auftrag
zum Export von Anerkennung ernst und übermittelt der noch jungen deutschen Regierung ein paar hilfreiche Tipps vom kleinen Nachbarn.
(Dieser Artikel erschien am 13.4. in der Islamischen Zeitung)
Schlusserklärung der Wiener Konferenz >>
Bericht über die Konferenz in der österreichischen
Wochenzeitung “Die Furche” >>
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